«Für mich war es immer das Wichtigste die Verletzlichkeit, den Stolz und Mut der Menschen zu zeigen»

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Während dem Lockdown durften wir Pia Zanetti in der Fotostiftung treffen. Aus einem Interview wurde eine mehrstündige Führung durch das Lebenswerk der 77-jährigen Baslerin sowie ein persönliches Gespräch zu den unzähligen Anekdoten hinter ihren Bildern.

Es ist unmöglich zu wissen, wie viele Fotografien Pia Zanetti in ihrem Leben produziert hat. Ihr Archiv umfasst mehr als 60 Jahre Arbeit. Wie trifft man da eine Auswahl für die Ausstellung? «Am Anfang war ich sehr froh um die Hilfe meines Sohnes Luca, der auch Fotograf ist. Man selbst hat da ja immer ein ganz anderes Auge darauf», erklärt sie. Und so war er es, der das Bild von tanzenden Männern an der Herbstmesse Basel fand. Bereits damals zeichnete sich ihre dynamische Bildsprache ab, dabei war Pia gerade einmal 17 Jahre alt und hiess noch Fontana. Die finale Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit Teresa Gruber und Peter Pfrunder entstanden. Sie kommt ohne viel Text aus und ermöglicht es dem Besucher, sich frei treiben zu lassen.

Welche Arbeit sie besonders geprägt hat, will ich wissen. Die Antwort kommt sofort: «Das war die Reportage in Südafrika. Was ich da erlebt habe war Wahnsinn. Die Apartheid, die so durchgespielt war. Ich konnte das einfach nicht begreifen. Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun.» In lebhafter Erinnerung behält sie auch den Besuch in einer Goldmine mit ihrem Mann Gerardo, der ebenfalls Journalist war. «Die Arbeiter dort haben ihre Familie drei bis vier Monate nicht mehr gesehen. Dann kam ich als junge, weisse Frau. Das hat gebrodelt. Ich habe damals den Fotoapparat gebraucht wie eine Maske, um mich etwas zu verstecken», erinnert sie sich. Das Erlebnis habe sie auch politisch sehr geprägt: «Ich habe angefangen die Beziehung der Schweiz mit Südafrika zu hinterfragen und ging daheim am Paradeplatz demonstrieren.»

Woher nimmt man den nötigen Mut und Willen, sich in so problematische Regionen zu begeben? Ist es die Hoffnung etwas in der Welt zu verändern? «Verändern ist ein grosses Wort. Ich hatte die Hoffnung, dass vielleicht jemand durch meine Arbeit mehr über ein Thema wissen will und mehr dazu liest. Es war aber auch mein eigenes Interesse und meine Neugier, die Welt zu sehen. Das hat mir die Kraft gegeben, einem Thema nachzugehen und auch die schwierigen Situationen wie jene in Südafrika auf mich zu nehmen.» Ein Bild der Serie hängt bis heute in ihrer Wohnung. Darauf zu sehen ist eine Gruppe Fischern am Markt in Kapstadt. «Ich mag das Bild. Es ist so ausdrucksstark. Weit weg, an einem ganz anderen Ort und in einer ganz anderen Kultur. Aber diese vier Männer gehören irgendwie zu mir.» 

Es ist auffällig, wie echt und ungefiltert sich die Menschen vor ihrer Linse sind. Sie ist für direkte und authentischen Porträts bekannt. Dazu erklärt sie:«Für mich war es immer das Wichtigste die Verletzlichkeit, den Stolz und Mut der Menschen zu zeigen – ohne Wertung. Denn ich kenne die Geschichten dieser Menschen nicht. Ich will nicht werten. Werten ist etwas, das viel kaputt machen kann.» Sie redet mit einer Offenheit, wie man es nur selten erlebt. Wenn sie zuhört, sind ihre blauen Augen aufmerksam und hellwach. Neben Verständnis und Empathie helfen ihr auch ihre positive Einstellung: «Ich habe nicht viele Enttäuschungen erlebt mit Menschen, mein Urvertrauen ist intakt. Ich glaube nicht, dass Menschen mir schlecht gesinnt sind. Das kommt auch von meiner eigenen Geschichte und wie ich aufgewachsen bin. Herr Freud lässt grüssen», lacht sie.

Dass sie es am Anfang ihrer Karriere als Frau schwer hatte, ist bekannt. Sie musste dafür kämpfen, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen und durfte schliesslich bei ihrem Bruder Olivio Fontana in die Lehre. Ob es einmal eine Situation gab, in der sie es als Fotografin besonders schwer hatte? Auch auf diese Frage antwortet Pia Zanetti nicht mit Bitterkeit, sondern lächelnd: «Einmal liessen sie mich nicht in den Vatikan, weil ich eine Hose anhatte. Das war ungefähr 1965. Ich hatte den Auftrag den Transport der Pietà von Michelangelo zu zeigen. Die Verpackungsarbeiten waren schon in vollem Gange, ich lief so schnell es ging in eine Boutique, kaufte mir einen Jupe und bekam schliesslich Zugang. Aber als ich vor Ort ankam, musste man eine Leiter hinaufsteigen. Die Männer machten schon blöde Sprüche, dass man alles sehen würde, wenn ich da jetzt hochkletterte («Ma Signora, si vede tutto!»). Das war dann ein wenig nervig.» Doch in dem Moment, waren ihr die Zuschauer egal, sie wollte einfach nur noch ihre Bilder machen.

Sie habe gelernt, es als Vorteil zu sehen, dass sie eine Frau ist und reagierte in solchen Situationen oftmals einfach mit Humor: «Man konnte immer auch ein wenig spielen mit dem Zeug. Als junge Frau habe ich dann auch einfach Sprüche gemacht.» Und so antwortete Pia Zanetti auf die Frage, warum sie arbeite und wo denn ihr Mann sei: «Der schläft noch und ist froh, dass ich das Geld verdiene.» Sie habe das immer recht locker genommen und hatte auch nie ein #MeToo-Erlebns: «Aber ich will das Thema nicht banalisieren. Ich finde den Kampf sehr wichtig und ich habe mich in dieser Hinsicht auch selbst engagiert.»

Wir schlendern noch eine Weile durch die Ausstellung, bewundern Aufnahmen der Haute-Couture Modenschauen in Rom, von Strassenszenen in New York und Porträts von Berühmtheiten wie Bette Davys, Vivienne Westwood, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Wir unterhalten uns über die lebendigen Orangetöne der Diashow, über die Blicke der Menschen und über die Kühe in Nicaruaga, die so anders aussehen. Hinter jeder Fotografie steckt eine Geschichte. Die dunkelste ist vielleicht die der letzten Serie über Muynak in Usbekistan, ganz hinten in der Ausstellung. «Da wurde ich 1999 eine Nacht in Moskau im Knast festgehalten. Ohne Essen und ohne Licht. Nur, weil ich kein Visum hatte, um von einem Flugzeug ins andere zu steigen. Das war schlimm. Am nächsten Tag bin ich direkt wieder nach Hause geflogen.» Wie es dann trotzdem noch mit der Reportage geklappt hat, will ich wissen. «Daheim auf der Redaktion haben Sie zu mir gesagt: «Du willst doch Abenteuer! Dann geh jetzt dahin.» Und so habe ich mich nochmals auf den Weg gemacht und die Fotogeschichte in Usbekistan ist entstanden.»

Zum Schluss frage sie noch, wie ihre Pläne für die Zukunft sind. «Neben der Ausstellung bleibt derzeit fast keine Zeit für anderes», sagt sie. «Aber ich bin überzeugt, dass sich meine Bedürfnisse melden, sobald ich mehr Zeit habe. Aus Erfahrung kann ich mich darauf verlassen, dass sich herauskristallisiert, was meinen inneren Wünschen entspricht. Vielleicht ein kleines Studio für Porträts oder weitere Reisen. Wir werden sehen.»

«Pour moi, le plus important a toujours été de montrer la vulnérabilité, la fierté et le courage des gens»

Par Corina Rainer, journaliste
11 mars 2021

Nous avons eu le plaisir de rencontrer Pia Zanetti à la Fotostiftung de Winterthur (ZH). L’interview s’est transformée en une visite guidée de plusieurs heures de l’œuvre de cette Bâloise de 77 ans, ainsi qu’en une conversation personnelle sur les innombrables anecdotes qui se cachent derrière ses photos.

Il est impossible de savoir combien de photographies Pia Zanetti a produites au cours de sa vie. Ses archives couvrent plus de 60 ans de travail. Comment faire une sélection pour l’exposition? «Au début, j’étais très heureuse d’avoir l’aide de mon fils Luca, qui est également photographe. Vous avez toujours un regard complètement différent sur les choses vous-même», explique-t-elle. C’est ainsi qu’il a trouvé la photo d’hommes dansant à la Foire d’automne de Bâle. Son langage visuel dynamique émergeait déjà à l’époque, lorsque Pia n’avait que 17 ans et s’appelait encore Fontana. L’exposition finale a été réalisée en collaboration avec Teresa Gruber et Peter Pfrunder. Elle n’est pas chargée par un trop-plein de texte et permet au visiteur de dériver librement.

Je désire savoir en premier lieu lequel de ses travaux l’a particulièrement façonnée. La réponse est immédiate: «C’était le reportage en Afrique du Sud. Ce que j’y ai vécu était de la folie. L’apartheid, qui s’est joué de cette manière. Je ne pouvais pas comprendre. Comment des gens peuvent-ils faire cela à d’autres personnes?». Elle se souvient aussi très bien d’avoir visité une mine d’or avec son mari Gerardo, qui était également journaliste. «Les travailleurs ne voyaient pas leur famille pendant trois à quatre mois. Puis je suis arrivée en tant que jeune femme blanche. C’était en train de mijoter. A l’époque, j’avais besoin de la caméra comme d’un masque pour me cacher un peu», se souvient-elle. Cette expérience a également eu un fort impact politique sur elle: «J’ai commencé à remettre en question la relation de la Suisse avec l’Afrique du Sud et je suis allée manifester chez moi à Zurich, sur la Paradeplatz».

Où trouver le courage et la volonté nécessaires pour aller dans des régions aussi problématiques? Est-ce l’espoir de changer quelque chose dans le monde? «Le «changement» est un grand mot. J’avais l’espoir que quelqu’un voudrait peut-être en savoir plus sur un sujet par le biais de mon travail et en lire plus sur celui-ci. Mais c’était aussi mon propre intérêt et ma curiosité de voir le monde. Cela m’a donné la force de poursuivre un sujet et d’affronter des situations difficiles comme celles de l’Afrique du Sud». Une photo de la série est restée dans son appartement jusqu’à aujourd’hui. Il s’agit d’un groupe de pêcheurs au marché du Cap. «J’aime cette image. Elle est tellement expressive. Loin, dans un lieu et une culture très différents. Mais ces quatre hommes m’appartiennent en quelque sorte.»

Il est frappant de constater à quel point les personnes qui se trouvent devant son objectif sont réelles et non filtrées. Elle est ainsi connue pour ses portraits directs et authentiques. Elle explique: «Pour moi, le plus important a toujours été de montrer la vulnérabilité, la fierté et le courage des gens −sans jugement. Parce que je ne connais pas les histoires de ces gens. Je ne veux pas juger. Juger est quelque chose qui peut casser beaucoup de choses». Elle parle avec une ouverture rarement expérimentée. Lorsqu’elle écoute, ses yeux bleus sont alertes et brillants. En plus de la compréhension et de l’empathie, son attitude positive l’aide: «Je n’ai pas eu beaucoup de déceptions avec les gens, ma confiance de base est intacte. Je ne crois pas que les gens soient mal disposés à mon égard. Cela vient aussi de ma propre histoire et de la façon dont j’ai grandi. M. Freud vous envoie ses salutations!», dit-elle en riant.

Il est bien connu qu’elle a connu des moments difficiles au début de sa carrière de femme. Elle a dû se battre pour obtenir une place d’apprentie et a finalement été autorisée à faire un apprentissage avec son frère Olivio Fontana. Y a-t-il jamais eu une situation dans laquelle elle a eu des difficultés particulières en tant que photographe? Pia Zanetti répond à cette question non pas avec amertume, mais avec un sourire: «Une fois, ils ne m’ont pas laissé entrer au Vatican parce que je portais un pantalon. C’était vers 1965, quand j’ai eu la tâche de montrer le transport de la Pietà de Michel-Ange. Le travail d’emballage battait déjà son plein, alors j’ai couru aussi vite que possible vers une boutique, je me suis acheté une veste et j’ai finalement pu y accéder. Mais quand je suis arrivée sur place, il y avait une échelle à gravir. Les hommes faisaient déjà fait des commentaires stupides disant qu’on verrait tout si je grimpais là-haut maintenant («Ma Signora, si vede tutto!»). C’était un peu ennuyeux…». Mais à ce moment-là, elle ne se souciait pas des spectateurs, elle voulait juste prendre ses photos.

Elle a appris à voir comme un avantage le fait qu’elle soit une femme et a souvent réagi dans de telles situations simplement avec humour: «On peut toujours jouer un peu avec les choses. En tant que jeune femme, j’ai alors simplement inventé des dictons». Ainsi, lorsqu’on lui a demandé un jour pourquoi elle travaillait et où se trouvait son mari, Pia Zanetti a répondu: «Il dort encore et est heureux que je gagne de l’argent»! Elle l’a toujours pris à la légère et n’a jamais fait l’expérience de #MeToo: «Mais je ne veux pas banaliser la question. Je pense que le combat est très important et j’ai moi-même été impliqué dans ce combat».

Nous nous promenons un peu plus longtemps dans l’exposition, en admirant des clichés de défilés de haute couture à Rome, des scènes de rue à New York et des portraits de célébrités comme Bette Davis, Vivienne Westwood, Max Frisch et Friedrich Dürrenmatt. Nous parlons des tons orange vif du diaporama, de l’apparence des gens et des vaches du Nicaruaga qui ont l’air si différentes. Derrière chaque photographie se cache une histoire. La plus sombre est peut-être celle de la dernière série sur Muynak en Ouzbékistan, tout au fond de l’exposition. «C’est alors que j’ai été emprisonnée pendant une nuit à Moscou en 1999. Sans nourriture et sans lumière. Ce n’est pas parce que je n’avais pas de visa pour aller d’un avion à l’autre. Cela sentait très mauvais. Le lendemain, je suis rentrée directement à la maison». Je veux savoir comment cela s’est passé avec le reportage. «A la rédaction, ils m’ont dit: «Tu veux de l’aventure? Alors, vas-y maintenant!». Je suis donc repartie et le reportage photo en Ouzbékistan a vu le jour».

Enfin, je lui demande quels sont ses projets pour l’avenir? «En dehors de l’exposition, il n’y a presque pas de temps pour autre chose pour le moment, dit-elle, mais je suis convaincue que mes besoins se feront sentir dès que j’aurai plus de temps. Par expérience, je peux être certaine que ce qui répond à mes désirs intérieurs va émerger. Peut-être un petit studio pour les portraits ou plus de voyages. Nous verrons bien».

Photo 1 – Herbstmesse / Foire d’automne, Basel / Bâle, 1960 © Pia Zanetti

Photo 2 – Max Frisch am Paradeplatz in Zürich, Max Frisch sur la Paradeplatz à Zürich, 1966 © Pia Zanetti

Photo 3 – London / Londres, 1967 © Pia Zanetti

Photo 4 – Spielcasino / Casino, London / Londres, 1968 © Pia Zanetti

Photo 5 – Fussballmatch / Match de football, Madrid, 1966 © Pia Zanetti

Photo 6 – Pozzuoli, Italien / Italie, 1970 © Pia Zanetti

Photo 7 – Beim Rodeo / Au rodéo, Chicago, 1967 © Pia Zanetti

Photo 8 – Muynak, Usbekistan / Ouzbékistan, 1999 © Pia Zanetti

Photo 9 – Managua, Nicaragua, 1984 © Pia Zanetti

Photo 10 – New York, USA, 1963 © Pia Zanetti

Photo 11 – Zu Hause / A la maison, Tiruppur, Inde, 1997 © Pia Zanetti

Photo 12 – Fischer in Kapstadt / Pêcheurs au Cap, Südafrika / Afrique du Sud, 1968 © Pia Zanetti

Photo 13 – Bette Davis, Italien / Italie, 1988 © Pia Zanetti

Photo 14 – Porträt von Pia Zanetti vor einem ihrer in der Fotostiftung in Winterthur ausgestellten Werke / Portrait de Pia Zanetti devant une de ses œuvres exposée à la Fotostiftung de Winterthur © Luca Zanetti


«Pia Zanetti, Fotografin»
Fotostiftung, Winterthur (ZH)
Bis 24. Mai 2021

Der Sitzbereich des Bistro George bleibt weiterhin geschlossen, das Bistro bietet jedoch eine Auswahl von Take-away- und Delivery-Gerichten an.
Es gelten weiterhin die üblichen Schutzmassnahmen für den Museumsbesuch.

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 11–18 Uhr
Mittwoch 11–20 Uhr
Montag geschlossen

Pia Zanetti

«Pia Zanetti, photographe»
Fotostiftung, Winterthur (ZH)
Jusqu’au 24 mai 2021

La zone d’accueil du Bistro George restera fermée, mais le bistro propose une sélection de plats à emporter et de plats à livrer.
Les garanties habituelles pour la visite du musée continueront à s’appliquer.

Heures d’ouverture
Du mardi au dimanche de 11h à 18h
Mercredi de 11h à 20 h
Lundi fermé

Pia Zanetti


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