«Ich möchte die Vergänglichkeit von Grenzen aufzeigen»

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Roger Eberhard präsentiert im Photoforum Pasquart sein neustes Werk: «Human Territoriality». Die Serie ist das Ergebnis von drei Jahren rigoroser Forschungsarbeit, 22 Reisen und 42 verschiedenen, historischen Grenzsituationen. Der Zürcher Fotograf hinterfragt damit die Idee von territorialen Grenzen und porträtiert mit seiner klaren, stillen Bildsprache das menschliche Bedürfnis der Abgrenzung.

Das Bieler Photoforum Pasquart zeigt aktuell eine Auswahl von 18 Fotografien aus Eberhards Bildband «Human Territoriality». Das Buch ist die neunte monografische Veröffentlichung des 36-Jährigen und es handelt sich um eine Serie mit dokumentarischem Charakter. In 51 Fotografien zeigt er verschiedenste Grenzverschiebungen um den ganzen Globus verteilt, einige kennt man aus historischen Ereignissen, andere aus jungen Entwicklungen, wieder andere aus tragischen Begebenheiten oder friedlichen Übereinkommen. 

Territoriale Grenzen haben sich im Laufe der Zeit immer wieder auf natürliche Weise verschoben. So auch jene natürliche Grenze zwischen Italien und der Schweiz, welche wir am Anfang der Ausstellung zu sehen bekommen. Aufgrund der Gletscherschmelze hat sich die Grenze um 150 Meter weiter südlich verschoben. Diese Veränderung wurde von beiden Ländern auf friedliche Weise ratifiziert und seit 2009 liegt nun die Bergstation des Skilifts zum Furggsattel-Gletscher, Zermatt, offiziell in der Schweiz, wodurch die Schweizer Bergbahnbetreiber keine Miete mehr bezahlen müssen.

Eberhard erzählt die Geschichten der verschiedenen Schauplätze ohne Anspruch auf dokumentarische Vollkommenheit. Ein detaillierter Begleittext ergänzt die Fotografie und erläutert die jeweils zu sehenden Begebenheiten. Oftmals konzentriert sich er sich auf historische Ereignisse, die zwar wenig bekannt sind, aber dennoch über eine grosse Symbolkraft verfügen. Wie etwa die angespannte Beziehung zwischen Chile, Argentinien, Bolivien und Peru, die den chilenischen Diktator Augusto Pinochet in den 70-er Jahren dazu veranlassten tausende von Landminen entlang der Grenze zu legen. Die Minen sind bis heute vergraben und haben bisher über 170 Menschen sowie unzählige Rinder und Lamas verletzt oder getötet.

Besonders augenfällig ist die konzeptuelle und formaler Strenge seiner Arbeit. Obwohl sämtliche Grenzen menschengemacht sind, findet sich auf den Bildern keine einzige menschliche Gestalt. Es scheint so, als wolle der Fotograf sich selbst wiederum durch die Schlichtheit seiner Bildsprache von den Geschehnissen abgrenzen. Durch diese visuelle Distanz erscheinen seine Bilder wertfrei und er übernimmt die Rolle eines «neutralen Erzählers». Es sind besonders die reinen Landschaftsfotografien, die uns spüren lassen, wie künstlich und temporär territoriale Trennlinien sind. Unweigerlich beginnen wir zu reflektieren, welchen Nutzen wir von Abgrenzung erzielen können. Ist es Sicherheit? Geborgenheit? Oder das Gefühl von Gemeinschaft?

Das eindrücklichste Bild finden wir im letzten Saal der Ausstellung: ein Tryptychon des vietnamesischen Fluss Ben-Hai. Darauf zu sehen ist ein üppig grünes Ufer, in dem wilde Pflanzen und eine magische Stille vorherrschen. Umso starker ist der Kontrast zu dem Leid, das entlang dieser Grenze geschah, wie bei der Lektüre des Begleittextes klar wird. Denn der Fluss markierte einst die Grenze zwischen Nord- und Südvietnam während der Teilung des Landes. Jener Ort zählt für den Fotografen zu den faszinierendsten seiner Reisen und verdeutlicht die Aussage in seinem Künstler-Statement: «Es liegt eine gewisse Ironie in der Diskrepanz zwischen dem Wissen, dass sich die eigene Grenze irgendwann ändern oder sogar ganz verschwinden wird, und dem grossen Mass an Stolz und Protektionismus mit dem einige Einzelpersonen oder ganze Nationen in ihrem Namen demonstrieren.»

«Je veux montrer la fugacité des frontières»

Par Corina Rainer, journaliste
29 octobre 2020

Roger Eberhard présente son dernier travail, «Human Territoriality», au Photoforum Pasquart, à Bienne. Cette série est le résultat de trois années de recherches rigoureuses, et de 22 voyages illustrant 42 situations frontalières historiques différentes. Le photographe zurichois remet ainsi en question l’idée de frontières territoriales et dépeint le besoin humain de démarcation avec son langage visuel clair et silencieux.

Le Photoforum Pasquart présente actuellement une sélection de 18 photographies tirées du livre illustré de Roger Eberhard, «Human Territoriality». Ce livre est la neuvième publication monographique de ce photographe de 36 ans et constitue une série à caractère documentaire. En 51 photographies, il montre les changements de frontières les plus variés dans le monde, certains liés à des événements historiques, d’autres à des faits récents, et d’autres encore à des événements tragiques ou à des accords pacifiques.

Les frontières territoriales se sont naturellement déplacées au fil du temps. C’est également le cas de la frontière naturelle entre l’Italie et la Suisse, présentée au début de l’exposition. En raison de la fonte du glacier, la frontière s’est déplacée de 150 mètres vers le sud. Ce changement a été ratifié pacifiquement par les deux pays et, depuis 2009, la station amont de la remontée mécanique du glacier du Furggsattel, à Zermatt, est désormais officiellement en Suisse, ce qui signifie que les exploitants de chemins de fer de montagne suisses n’ont plus à payer de loyer.

Eberhard raconte les histoires des différents lieux sans prétendre à la perfection documentaire. Un texte d’accompagnement détaillé complète la photographie et explique les événements à voir. Il se concentre souvent sur des événements historiques qui, bien que peu connus, ont un grand pouvoir symbolique. Comme les relations tendues entre le Chili, l’Argentine, la Bolivie et le Pérou, qui ont conduit le dictateur chilien Augusto Pinochet à poser des milliers de mines terrestres le long de la frontière dans les années 1970. Les mines sont toujours enterrées aujourd’hui et ont blessé ou tué plus de 170 personnes et d’innombrables bovins et lamas.

La rigueur conceptuelle et formelle de son travail est particulièrement frappante. Bien que toutes les frontières soient artificielles, on ne trouve pas une seule figure humaine sur les photos. Il semble que le photographe, à son tour, veuille se distinguer des événements par la simplicité de son langage visuel. Grâce à cette distance visuelle, ses images semblent sans valeur et il assume le rôle d’un «narrateur neutre». Ce sont surtout les photographies de paysages purs qui nous font sentir à quel point les lignes de démarcation territoriales sont artificielles et temporaires. Inévitablement, nous commençons à réfléchir aux avantages que nous pouvons tirer de la séparation. Est-ce la sécurité? Un abri? Ou le sentiment de communauté?

Nous trouvons l’image la plus impressionnante dans la dernière salle de l’exposition: un triptyque du fleuve vietnamien Ben-Hai. Il montre une rive verte et luxuriante où règnent des plantes sauvages et un silence magique. Le contraste avec les souffrances qui ont eu lieu le long de cette frontière est d’autant plus fort, comme le montre la lecture du texte qui l’accompagne. En effet, le fleuve marquait autrefois la frontière entre le Nord et le Sud du Vietnam lors de la division du pays. Ce lieu est l’un des plus fascinants visités par le photographe lors de ses voyages, comme l’illustre cette déclaration de l’artiste: «Il y a une certaine ironie dans le décalage entre le fait de savoir que sa propre frontière finira par changer ou même disparaître complètement et le grand degré de fierté et de protectionnisme que manifestent en leur nom certains individus ou des nations entières.»

Drei Fragen an Roger Eberhard

Corina Rainer: Wann und wie ist es zu Ihrem Interesse für territoriale Grenzen gekommen?
Roger Eberhard: Ich habe zwischen 2015 und Ende 2016 angefangen, mich verstärkt mit dem Thema zu befassen. Der Abstimmungskampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton ging damals gerade in die heisse Phase. Als Präsident Trump unaufhörlich von der Grenzsicherung der amerikanischen-mexikanischen Grenze und dem Errichten einer Mauer gesprochen hat, habe ich beschlossen, entlang der alten Grenze zwischen den USA und Mexiko von 1828 fotografische Arbeit auszuführen. Damals gehörten Kalifornien, Texas, New Mexico, Arizona und weitere Staaten noch zu Mexiko. In meiner Recherche für diese Arbeit stiess ich auf so viele spannende Grenzverschiebungen und Grenzauflösungen, dass ich entschied, die Serie nicht auf eine Region zu fokussieren, sondern einen globalen Ansatz wählte.

CR: Gibt es hinter einem Bild der Ausstellung eine besondere Geschichte?
RE: Klar, bei vielen. Zum Beispieldas zweitletzte Foto, dass ich für die Serie gmacht habe: Dahala Khagrabari, Bangladesch. Ich wusste, dass es kein ganz einfacher Trip werden würde und hatte die Reise deshalb bis zum Schluss etwas hinausgezögert. Mithilfe eines lokalen Fotografen, der mich am Flughafen Saidpur abgeholt hat, sind wir Richtung Norden und Dahala Khagrabari gefahren. Nach der Unabhängigkeit von Bangladesh entstanden auf der indischen wie auch auf der bangladeschischen Seite fast 200 kleine Enklaven. Erst 2015 wurden diese Enklaven aufgelöst. Bis dahin gab es im Norden von Bangladesch sogar eine indische Enklave befand. Mit anderen Worten eine Enklave in der Enklave in der Enklave. Als wir endlich in der Gegend dieser ehemaligen Enklave dritten Grades Dahala Khagrabari waren, mussten wir fast an jeder Tür klopfen und nachfragen, wo sie einmal war. Denn keine unserer Karten stimmten mit den Gegebenheiten vor Ort überein. Schlussendlich waren es ungefähr 15 Bauern, die mit uns von Feld zu Feld gegangen sind und weitere Leute gefragt haben. Bis endlich ein älterer Herr uns im Dickicht eines Strauches einen alten Grenzstein zeigte und uns versichern konnte, dass wir am richtigen Ort waren.

CR: Welche Wirkung möchten Sie beim Betrachter Ihren Fotografien auslösen?
RE: Mit der Serie Human Territoriality möchte ich die Fluidität und Vergänglichkeit von Grenzen aufzeigen. Falls etwas sicher ist in Bezug auf Grenzen, dann, dass sie sich immer wieder verändern, verschieben oder vielleicht auch ganz auflösen werden. Vor hundert Jahren gab es noch um die 50 Nationalstaaten, in den 60-er Jahren schon etwa 90 und heute sind es 200. Es wäre vermessen zu denken, dass sich das kartografische Puzzle unserer Weltkarte nicht mehr weiter verändern würde.

Roger Eberhard. «Human Territoriality»

Photoforum Pasquart, Biel
Bis 17. Januar 2021

Mittwoch: 12 – 18 Uhr
Donnerstag: 12 – 20 Uhr
Freitag: 12 – 18 Uhr
Samstag und Sonntag: 11 – 18

Veranstaltungen zur Ausstellung

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Pandemie musste diese Veranstaltung verschoben werden. Ein möglicher neuer Termin wird so bald wie möglich mitgeteilt.
Gespräch mit Roger Eberhard and Simon A. J. Mason, Mediation Team Support, Center for Security Studies (CCS), ETH Zurich.

Trois questions à Roger Eberhard

Corina Rainer: Quand et comment vous êtes-vous intéressé aux frontières territoriales?
Roger Eberhard: Entre 2015 et fin 2016, j’ai commencé à me concentrer davantage sur le sujet. La bataille électorale entre Donald Trump et Hillary Clinton venait juste d’entrer dans la phase chaude. Lorsque le président Trump a continué à parler de sécuriser la frontière américano-mexicaine et de construire un mur, j’ai décidé de faire du travail photographique le long de l’ancienne frontière américano-mexicaine à partir de 1828. À cette époque, la Californie, le Texas, le Nouveau-Mexique, l’Arizona et d’autres États faisaient toujours partie du Mexique. Dans mes recherches pour ce travail, je suis tombé sur tellement de changements passionnants et de dissolutions des frontières que j’ai décidé de ne pas concentrer la série sur une région, mais d’adopter une approche globale.

CR: Y a-t-il une histoire particulière derrière une image dans l’exposition?
RE: Bien sûr, avec beaucoup d’entre elles. Par exemple, la deuxième de la dernière série de photos que j’ai prise: Dahala Khagrabari, Bangladesh. Je savais que ce ne serait pas un voyage facile, alors je l’ai retardé jusqu’à la fin. Avec l’aide d’un photographe local qui est venu me chercher à l’aéroport de Saidpur, nous sommes allés vers le nord et Dahala Khagrabari. Après l’indépendance du Bangladesh, près de 200 petites enclaves ont émergé du côté indien et du côté bangladais. Ce n’est qu’en 2015 que ces enclaves ont été dissoutes. Jusque-là, il y avait même une enclave indienne située au nord du Bangladesh. En d’autres termes, une enclave dans l’enclave au sein de l’enclave. Quand nous sommes finalement arrivés dans la zone de cette ancienne enclave du troisième degré, Dahala Khagrabari, nous avons dû frapper à presque toutes les portes et demander où elle se trouvait. Parce qu’aucune de nos cartes ne correspondait à la réalité du terrain. En fin de compte, une quinzaine d’agriculteurs sont allés avec nous d’un champ à l’autre et ont interrogé d’autres personnes. Jusqu’à ce qu’un vieil homme nous montre enfin une vieille borne dans le fourré d’un buisson et puisse nous assurer que nous étions au bon endroit.

CR: Quel effet aimeriez-vous déclencher sur le spectateur de vos photographies?
RE: Avec la série «Human Territoriality», je veux montrer la fluidité et la fugacité des frontières. Si quelque chose est certain au sujet des limites, c’est qu’elles continueront de changer, de se déplacer ou peut-être même de se dissoudre complètement. Il y a cent ans, il y avait environ 50 États-nations, dans les années 60 il y en avait environ 90 et aujourd’hui il y en a 200. Il serait présomptueux de penser que l’énigme cartographique de notre planisphère ne changera plus.

Roger Eberhard. «Human Territoriality»

Photoforum Pasquart, Bienne
Jusqu’au 17 janvier 2021

Heures d’ouverture:
Mercredi: 12h – 18h
Jeudi: 12h – 20h
Vendredi: 12h – 18h
Samedi et dimanche: 11h – 18h

Événements autour de l’exposition

En raison des récents développements de la pandémie, cet événement a dû être repoussé. Une éventuelle nouvelle date sera communiquée dès que possible.
Entretien avec Roger Eberhard et Simon A. J. Mason, Mediation Team Support, Center for Security Studies (CCS), ETH Zurich.


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